Samstag, 27. März 2010

"İBuenos dias compañeros!"



Ich gebe ab diesem Montag jeden Tag die erste Stunde Unterricht in der einen Grundschule hier. (Mehr Zeit habe ich nicht, weil ich danach die Speisen für den Kiosk-Verkauf vorbereiten muss.) Es sind immer zwei Jahrgänge in einem Raum untergebracht und werden von einer Lehrperson gemeinsam unterrichtet. Montags gebe ich mit Mathematikunterricht in der ersten und zweiten Klasse, dienstags und mittwochs Ästhetische Erziehung (Kunst, Musik, Theater) in der dritten und vierten Klasse, donnerstags in der fünften und sechsten Klasse abwechselnd Englisch und Mathematik und freitags gebe ich Religionsunterricht in der ersten und zweiten Klasse. Der Unterricht macht Spaß und ist leichter als in Deutschland, obwohl es wesentlich mehr Kinder pro Lerngruppe (ca. 40) sind. Sie sind einfach disziplinierter und wundern sich immer, wenn ich von ihnen verlange sich zu bewegen. Auch der Stuhlkreis heute Morgen hat großes Staunen hervorgerufen. Diesen Freitag vor Ostern habe ich im Religionsunterricht wie Jesus am letzten Abendmahl den Kindern die Füße gewaschen und wir haben ein Brötchen und ein Glas Saft geteilt. Es war das erste Mal, dass ich bei diesem Thema nicht erklären musste, warum Jesus die Füße und nicht die Hände seiner Jünger wusch. Mit ihren Ojota-Sandalen und ihrer armen Lebensweise sind die Kinder den Jüngern Jesu näher als wir – das zeigte auch das Wasser. Die Kinder, von denen nur sehr wenige Castellaño sprechen, haben am eigenen Körper erfahren, geschmeckt und gefühlt, wie dieses besondere Abendmahl war. Außerdem konnten viele die verwendeten Elemente wie Brot, Wein oder Wasser und die erfahrenen Handlungen benennen bzw. das neue Vokabular mit realen Gegenständen verknüpfen. Ich bin gespannt, was sie davon wie zeichnen, wenn sie ihre Hausaufgabe nächste Woche zeigen!
Jeden Morgen stellen sich alle Kinder der Schule in gleichgeschlechtlichen Reihen nach Klassenstufen geordnet auf und folgen den Armee-Befehlen der Direktorin bzw. eines Lehrers. Nach dem ein Schüler die Lehrer und seine Mitschüler begrüßt hat, ein andere den Tag und das Datum vortrug und das Morgengebet im Chor gesprochen wurde, folgt ein kurzer Vortrag des leitenden Lehrers organisatorischer oder kultureller Thematik (falls es ein Feier- oder Gedenktag ist). Hier in Peru gibt es zu vielen Ereignissen oder kulturell bedeutsamen Werten Gedenktage. Auch ich werde einmal im Monat eine solche Thematik vorbereiten. Anschließend tragen freiwillige Schüler und Schülerinnen Gedichte, Geschichten, Lieder, Scherzfragen oder Aufgaben vor. Zum Schluss dieser Morgenversammlung gehen die Kinder nacheinander in ihren Klassenraum, nachdem sie ihre Nummer gerufen haben. So zählen sie sich selbst und auch die Lehrer können schon ihre Anwesenheit erfassen. Montags morgens wird zum Wochenbeginn die peruanische Flagge gehisst und die Hymne gesungen. Eine solche morgendliche Zusammenkunft aller Schüler, mit der Möglichkeit Erlerntes zu präsentieren und dafür mit Applaus und Anerkennung belohnt zu werden, finde ich ein tolles Ritual, das den Kindern ermöglicht, den Schultag gemeinsam zu beginnen. In kleiner Form als Morgenkreis kenne ich das leider aber nur vereinzelt aus Deutschland.
Am Freitagnachmittag habe ich fuer einige Kinder der Albergue die Elternversammlung dieser Grundschule besucht. Die Eltern wurden fuer 13 Uhr bestellt; um 13:30 Uhr sassen wir schliesslich slle in einem Klassenraum und lauschten der Begruessung der Direktorin. Sie hatte die Tagesordnung an die Tafel geschrieben. Sie erlaeuterte erst zweisprachig einige organisatorische regelungen – wie zum Beispiel die Trennung der dritten und vierten Klasse aufgrund der grossen Schuelerzahl. Anschliessend kam ihr Kollege zu Wort. Einleitend forderte er die Eltern freundlich aber deutlich auf, gemeinsam mit der Schule und ihren Kindern an einigen Problemen zu arbeiten, die ihre Bildungschancen und ihre Lebensbedingungen einschraenken. Es sei allerdings sehr wichtig, an dieser Stelle nicht alle Probleme zu sammeln und zu diskutieren, weil ihre gelichzeitig Loesung unmoeglich waere. Um produktiv etwas zu veraendern, sollten sie sich auf drei zentrale Probleme konzentrieren. An erste Stelle setzte er die mangelnde Lesefaehigkeit, die mit der Bilingualitaet ihrer Kinder und des immernoch weit verbreiteteten Analphabetismusses verbunden sei. Er erklaerte verstaendlich die Konsequenzen dieser fehlenden Schriftsprachlichkeit und erlaeuterte konkret einfache Ansaetze zur Verbesserung. Auch er sprach mehr auf Quechua als auf Castellaño. Sein zweites Problem stellt die Umweltverschmutzung dar, dessen gesundheitliche Konsequenzen jeder spueren koenne, weil sie die kontaminierte Erde mit der Nahrung und der Luft taeglich in ihre Koerper aufnaehmen. Klar und eingaenig forderte er zur verantwortlichen Muelltrennung auf. Schliesslich sprach der den inkonsequenten Umgang mit sozialen und paedagogischen Werten an, der sich negativ auf die Persoenlichkeitsentwicklung ihrer Kinder auswirke. Waehrend seiner Rede und auch anschliessend bei der konstruktiven Diskussion, wie es moeglich sei mit sehr geringem Budget das Schulgebaeude mit der Hilfe aller zu reparieren, wurde jeder Vater und jede Mutter in der ihm moeglichen Sprache angehoert. Mit einem konkreten Zeitplan, wann welche Baustelle wie angegangen werde, verliess ich nach drei einhalb Stunden etwas erschoepft aber beeindruckt den Klassenraum.

„Darf ich heute vorlesen?“


Seit einem Monat lesen wir jeden Abend ein Kapitel vor dem Einschlafen. Alle Jungs liegen gewaschen und mit geputzten Zähnen in ihrem Bett und lauschen einer Geschichte, die einer von ihnen vorliest. Am ersten Abend laß ich vor. Schon am zweiten Abend fragte mich ein Junge, ob er nicht heute lesen dürfe. Erfreut gab ich ihm das Buch. Er las mit lauter Stimme und Betonung vor und bald hörten ihm auch die unruhigsten gespannt zu. Mittlerweile liest jeden Abend ein anderer abwechselnd. Stolz halten sie das Buch in der Hand und bemühen sich klar und betont zu lesen. Auch jüngere Leser trauen sich und erhalten am Schluss anerkennenden Applaus. Zwischendurch laufe ich mit dem Buch durch die Bettreihen und zeige allen die Zeichnungen zur Geschichte, was auch den jungen Castellaño-Lernern ermöglicht, zumindest die zentrale Handlung zu verstehen. Die Jungs genießen diese Zeit, in der sie ruhig werden und in die Welt des Buches eintauchen. Wenige lesen auch ihr eigenes Buch oder Heft oder schlafen ein, wenn sie zu müde zum Zuhören sind. Letzten Sonntag haben wir nachmittags den Film Robin Hood angeschaut, nachdem wir das entsprechende Buch beendet hatten. Diese Woche haben wir mit dem Buch „Moby Dick“ begonnen.

Sonntag, 21. März 2010

Wie eine Hospitation zum Vertretungsunterricht wird…

Am Freitagmorgen hatte ich mit den Schwestern abgesprochen, für eine Stunde das Angebot des Lehrers wahrzunehmen, in seinem Unterricht der ersten oder zweiten Klasse der einen Grundschule in Quiquijana zu hospitieren. Ich ging also mit einigen Kindern aus der Albergue morgens zur Schule. Obwohl wir fünf Minuten zu spät kamen, worüber ich mir den ganzen Weg schon Gedanken machte (aber kleine Kinder laufen eben langsamer), war ihr Lehrer noch nicht da. Auch eine andere Klasse wartete noch auf ihren Lehrer. Ein Kollege bei dem ich mich vorstellte, riet mir vor der Tür auf ihn zu warten. Die anderen Erstklässler liefen immer wieder neugierig aus dem Raum, um zu sehen, wer denn Unbekanntes vor der Tür warte! Nach weiteren fünf Minuten fragte ich diesen Kollegen, ob ich den Unterricht nicht einfach beginnen soll. Er stimmte begeistert zu, begleitete mich in den Raum und erklärte den Kindern, dass ich ihre Lehrerin sei bis der eigentliche Lehrer komme. Ich stellte mich den Kindern vor und begrüßte sie, was sie im Chor beantworteten. Wir begannen mit einem Klatschrythmus, auf den wir zählten und dabei die Dreier-Reihe betonten. Ich teilte die Klasse in zwei Hälften, die verschiedene Schritte zählten. Anschließend wiederholten wir die Vokale in ihrer Aussprache und Schreibung, indem wir Wörter suchten, in denen sie vorkamen und gemeinsam in die Luft schrieben. In der folgenden Phase bat ich immer Kleingruppen von freiwilligen Schülern oder Schülerinnen nach vorne, die sich in zwei Gruppen separat aufstellen sollten. Ihre Anzahl wurde vom Rest der Klasse direkt oder zählend bestimmt. Danach forderte ich die vorne stehenden Kinder auf einen Kreis zu bilden und fragte nach der Summe aller Kinder im Kreis. Die einzelnen Anzahlen hielten wir nummerisch an der Tafel fest. Ich ergänzte anschließend erklärend das Plus- und Ist-Gleich-Symbol. Das wiederholten wir mehrere Male mit variierten Anzahlen bis wir das Ganze rückwärts machten um auch Subtraktionen zu verstehen. Das Vorkommen, Kreisbilden und Zahl-Anschreiben machte den Kindern Spaß und ermöglichte ihnen sich zu bewegen. Alle waren mit Elan dabei. Ich fragte mich nur die ganze Zeit, wann denn ihr Lehrer komme und wie er das finde, dass seine Schüler von einer fremden Lehrerin motiviert scheinbar undiszipliniert im Raum herumlaufen.
In der letzten Phase dieser Stunde bat ich die Kinder ihre Mathematikhefte herauszunehmen und die Aufgabe an der Tafel abzuschreiben. Ich malte einfache Gesichter in Gruppen an und schrieb darunter je ihre Anzahl als Additionsterm. Anstatt des nummerischen Ergebnisses zeichnete ich ein leeres Kästchen und forderte auf die fehlende Zahl einzusetzen. Diese Aufgabenstellung ließ mehrere Lösungswege zu, so dass schwächere Schüler sie auch zählend lösen können. Die Kinder zeichneten kreativ lachende und traurige Gesichter mit Haaren und Ohren in allen Variationen. Anschließend bestimmten sie ihre Anzahl. Meine gewährte „Hospitationszeit“ war mittlerweile abgelaufen, weshalb ich den Kollegen in seiner Klasse aufsuchte, ihm mitteilte, dass der erwartete Lehrer immer noch nicht da sei, ich aber jetzt gehen müsse. Er meine, das wäre okay und fragte mich, ob ich nicht vielleicht regelmäßig Englisch-Unterricht geben könne. Wir vereinbarten, das in der nächsten Woche mit der Direktorin abzusprechen.

Ich baue mir ein Haus, wie es mir gefällt


Am Mittwoch und Donnerstag dieser Woche habe ich mit den Kindern Häuser gebaut. An vielen Stellen hier gibt es Hügel mit verschiedendensten Steinen, weil die Erde hier sehr steinig ist. Diesen Schatz wollte ich nutzen, als ich mit wenigen Neugierigen anfing aus ihnen ein kleines Haus zu bauen. Die Gruppe der kleinen Architekten nahm rasch zu. Sie sammelten kleine und große, flache und runde Steine aller Farben. Manche nutzten auch Erde, Sand, Wasser, Eukalyptusblätter oder –hölzer als Baumaterial. Sie hatten genaue Vorstellungen, wie ihr Haus aussehen soll: „Mein Haus bekommt vier Stockwerke“, „Ich baue ein Haus mit Garten“, „Bei mir ist die Küche in einem extra Gebäude“, „Mein Haus hat einen großen Innenhof“…
Manche Häuser wurden kompliziert mit einem Holzgebälk und Erde bedeckt, andere statisch geschickt mit einem Kuppeldach aus Steinen, wieder andere erhielten kein Dach, weil es nicht regnete (was es in einigen Gegenden Perus tatsächlich nur sehr selten tut, sodass zum Beispiel in Arequipa viele einfache Häuser kein Dach haben). Ihre Kreativität kannte keine Grenzen und Kinder jeder Altersstufe bauten zusammen mit anderen oder alleine ihr Traumhaus, wie es ihnen gefiel und wie sie es konnten. Auch besichtigten sie begeistert und lobend die Konstruktionen der anderen. Keiner wollte zur Albergue zurück, als ich ihnen sagte, wir müssten jetzt gehen, weil es gleich Abendessen gebe.
Ein eigenes Haus ist in der Regel nah mit einem eigenen Zuhause verbunden (im Spanischen ist es dieselbe Formulierung: Me voy a mi casa - Ich gehe nach Hause), was viele dieser Kinder nicht oder kaum haben. So gerne sie in die Albergue kommen und dort wohnen, ist es doch nicht ihr Zuhause. Die jüngsten, die ich häufig morgens in den Kindergarten begleite, erzählen oft Wunschgeschichten von ihrem Zuhause. „Heute gehe ich nach Hause und meine Mama käuft mir Ojotas (sehr einfache Sandalen aus alten Reifen, die hier jeder trägt)“.
Ich habe jedes Kind mit seinem selbstgebauten Haus fotografiert, was ihnen sehr wichtig war. Als es am nächsten Tag regnete, bedauerten sie, dass der Regen vieles ihrer Konstruktionen zerstöre.

Samstag, 13. März 2010

Gemeinsames Abendessen bei Stromausfall

Alphabetisierung statt Hausaufgaben?

Hallo,

mittlerweile leben gut 70 Kinder in der Albergue. (Ca. 10 weitere werden für die nächsten Tage erwartet.) Mit der Menge an Kindern steigt natürlich auch der Lärmpegel, die Rufe und Bedürfnisse, die möglichst gleichzeitig beantwortet werden wollen, Umarmungen, Beschwerden und vieles mehr. Sie machen unseren Alltag bunter, oft auch anstrengender, aber interessant und erfüllend.
Diese Woche habe ich jeden Tag mit allen Kindern der Grundschule Hausaufgaben gemacht. Es sind ca. 40 Kinder, von denen ca. die Hälfte neu in die Albergue kam und kaum Castellaño spricht. Wir saßen (hüften, knieten oder standen) alle in einem Raum - im Idealfall an Tischen. Ohne Anleitung und möglichst noch permanente Begleitung machte kaum jemand seine Aufgaben! Oft erklärte sich das aber auch, weil sie völlig überfordert damit waren: Wie kann ein Kind ohne Alphabetisierung drei lange gekritzelte Sätze in einer fremden Sprache abschreiben? Und Motivation aufbringen, jeden Satz so lange wieder abzumalen, bis je eine Seite gefüllt ist?
Ich wusste oft nicht bei welchem Kind ich zuerst helfen soll. So flitze ich abwechselnd von Kind zu Kind, hielt das eine davon ab, einfach aus dem Raum zu rennen, motivierte das andere ihre Hausaufgaben herauszuholen und nicht halb oder ungemacht das Heft wieder einzupacken, ihre Seiten nicht zu zerreißen, keine Stifte oder Scheren von anderen Kindern anzukauen und auf der Linie zu schreiben, wenn sie endlich mal soweit waren!
Währenddessen gab die eigentlich mitzuständige Schwester im anderen Gebäude Schulmateralien aus, empfang Hilfe suchende Mütter auf Quechua oder schnitt Moosgummiformen aus.

Mit der Menge der Kinder wächst auch die Menge kaputter Kleidung exponentiell. Meistens ist ihre Schuluniform betroffen, die sie natürlich täglich während der Schulzeit tragen, sodass sich meine Nähzeit auf die späten Abendstunden verschiebt. Aber ich flicke ihre Schultaschen, Mützen, Blusen, Pullover und Hosen gerne und sie freuen sich, wieder ordentlich zur Schule gehen zu können.

Freitag, 5. März 2010

Wir besichtigen die fertigen Gewächshäuser und erfahren ihre Bedeutung

Die Musikgruppe - Kinder der Albergue begleiten den täglichen Gottesdienst

Vorlaufkurs - wir lernen spielend

Hallo,

letzten Montag habe ich mit den neu aufgenommenen Kindern eine Art Vorklasse begonnen. Sie sind im (Vor-)Schulalter, kommen oft aus problematischen Familien und sprachen - wenn überhaupt - Quechua. Wir verbringen den Vormittag gemeinsam: Wir begrüßen uns mit Händen und Füßen, singend und natürlich auf Castellaño; wir malten unsere Hände, schnitten sie aus und klebten sie auf ein großes Plakat mit unseren Namen. Wir schauen uns Bilderbücher an und erzählen, wen wir sehen und was passiert, wir puzzeln, spielen Domino, tanzen...Gestern haben wir die Farben auf Castellaño gelernt, indem wir Häuser aus bunten Holzbausteinen bauten.
Auch in der freien Spielzeit danach beobachte ich die Kinder, um den "Unterricht" für den nächsten Tag vorzubereiten. Was spielen sie gerne? Was fällt ihnen schwer? Was möchten sie lernen?
Es macht Spaß und auch ich lerne viel von ihnen!