Samstag, 13. Februar 2010

Ein Tag in der Albergue

Hallo,

während der Schulferien finden hier Förderkurse in der Schule statt, an denen Kinder freiwillig teilnehmen können. Deshalb verläuft unser Wochentag fast wie in der Schulzeit. Ich wecke die Jungs (weil mein Schlafzimmer im Schlafraum der Jungs liegt) um viertel nach sechs und motiviere sie bis ca. halb sieben ohne Kleidung, mit Handtuch und Seife zur Dusche zu gehen. Je nachdem, ob das Wasser warm oder kalt ist, dauert das Duschen länger oder kürzer. Falls sie sich mal wieder in eine Wasserschlacht verfangen haben und die Seife unberührt vor der Dusche liegen bleibt, fange ich zum zweiten Mal an zu zählen; natürlich rückwärts. Jeder der Jungen kann mittlerweile auf Englisch (und natürlich auf Kastellanisch – ich wechsle ab und zu) mindestens bis 10 zählen! Falls sie es nicht schaffen, fertig zu sein, wenn ich bei Null angekommen bin, müssen sie in Kauf nehmen, dass ich sie nackt sehe. (So viel Rücksicht nimmt die Schwester nicht. Deshalb meint sie, die Jungs seien es gewöhnt, dass Frauen sie sehen.)
Nach dem Duschen schaffen es einige sich anzuziehen, bevor ich die Zahnpasta verteile. Der Rest tappt mit Handtuch um die Hüfte und Zahnbürste in der Hand zum Waschbecken. Zähneputzen scheint ihnen Spass zu machen und sie tun es gründlich. Die Zähne der Kinder aus der Albergue sind so weiß und sauber wie keine der Kinder aus dem Dorf stelle ich leider immer wieder erschreckend auf der Straße oder in der Schule fest. Die geplante Zahnarztpraxis in Quiquijana, welche unser Projekt noch dieses Jahr erweitern soll, ist dringend notwendig.
Nach dem Bettenmachen geht es an die täglichen Dienste. Jedes Kind hat wöchentlich wechselnd neben einigen persönlichen Verantwortungen eine Reinigungsaufgabe: Bad schrubben und wischen, Waschbecken und Spiegel putzen, Schlafraum kehren oder putzen, Treppen oder Hof kehren, Teller abwaschen, Frühstück vorbereiten, Essensraum kehren, Tische abwischen…
Das passiert (fast) alles vor dem Frühstück um halb acht. Ab acht machen sich die Schulkinder mit ihren zwei Stücken frischem Obst auf den Weg. Die jüngeren Kinder, die Kinder der Köchin und zwei ältere Mädchen bleiben in der Albergue. Sie helfen das Mittagessen zuzubereiten: Unsere Mädels sind Weltmeister im Kartoffelschälen und Bohnen pellen! Da muss ich noch viel lernen.
Vormittags verbessern wir einige Gegenstände der Albergue (kaputte Bücher und Spiele, zu flickende Kleidung, die Stühle des Hausaufgabenraumes, die Eingangstür, die Holzbänke im Freien…), spielen mit den Jüngsten, kochen, packen Plätzchen ab und manches mehr. Um elf Uhr mache ich mich dann mit einigen Kindern auf, um Wasserbomben, Kekse, Gelatine-Frucht-Tütchen und Lutscher in der großen Pause des Colegios (der weiterführenden Schule) zu verkaufen. Dazu laden wir unsere Körbe - manchmal auch die kleinen Mädchen - auf das Triciclo, das gleichzeitig unseren Verkaufsstand darstellt. So machen das hier alle Frauen, die versuchen, auf der Straße, auf dem Markt oder an irgendeinem Ort mit Passanten etwas zu verkaufen. Die Pause dauert ca. eine halbe Stunde, je nachdem ob es Strom gibt, um die Glocke zu betätigen, wer wann den Auftrag bekommt, sie zu drücken und ob die Lehrer da sind. Die kommen und gehen nämlich, wann sie Lust haben, wie es wirkt. Überhaupt erscheinen mir diese Ferienkurse weniger als Förderung als oft als Überforderung. Gerade auf die schwächeren Schüler und Schülerinnen scheint keine Rücksicht genommen zu werden. Alle bekommen die gleichen Aufgaben und Anforderungen. Differenzierung gibt es nicht, wenn ich mir die Hefte und Hausaufgaben der Kinder anschaue. Sie werden nicht in bestimmten Problembereichen besonders gefördert, sondern bekommen fast täglich neue Problemstellungen vorgesetzt, von denen sie noch nie etwas gehört haben. Das kann kaum eine Wiederholung des vergangenen Schuljahres sein!
Wenn die Kinder von der Schule zurückkommen, verteilen sie ihr Mittagessen und essen gemeinsam. Ihre Ernährung erscheint mir insgesamt ausgewogen und gesund: Sie verarbeiten nur frisches Gemüse und es gibt oft Salat. Was ihnen allerdings sicher fehlt sind Ballaststoffe. Ihr Brot, das sie morgens und abends dazu essen, backen sie nämlich nur aus Weißmehl. Aber das möchte ich ändern.
Nach dem Mittagessen und Abspülen waschen die Kinder ihre Wäsche: Mit ihren Händen und einer Bürste wird jeder Fleck sorgfältig ausgeschrubbt. Die Waschmaschine macht das nicht so gut, das wissen sie! Um halb vier beginnt die Hausaufgabenzeit. Ja, trotz freiwilligem Ferienkurs bekommen die Kinder Hausaufgaben auf und das nicht zu knapp. Wie schon angedeutet ist es für viele von ihnen unmöglich sie alleine zu bewältigen, was die Lehrer aber nicht zu interessieren scheint. Ich habe das Gefühl, ihnen relativ gut helfen zu können. Dafür reichen meine Spanischkenntnisse mittlerweile aus. Falls nach den Hausaufgaben noch Zeit bleibt, backen wir einmal pro Woche Brot oder lesen Bücher, spielen auf dem Hof oder gehen zusammen auf den nahen „Spielplatz“ (der eine Restaurierung dringend nötig hätte). Um sechs Uhr können die Kinder freiwillig mit den Schwestern zur Messe gehen. Soweit möglich, gehe ich mit, je nachdem, ob zu beaufsichtigende Kinder da bleiben. Um sieben Uhr gibt es Abendessen. Wir Freiwilligen schauen, dass jedes Kind seine Portion erhält. Danach verabschieden wir uns und essen selbst zu Abend.
Was jeden Tag einzigartig werden lässt und meine Motivation ausmacht, ist das Leben mit den Kindern: Ich lache mit ihnen, wenn sie Spaß machen, ich tröste sie, wenn sie weinen, ich fordere ganze Sätze, wenn sie mich etwas fragen, ich lobe sie für jedes gute Verhalten, das ich wahrnehme, ich fordere, um Entschuldigung zu bitten, wenn sie andere verletzen, ich motiviere sie, wenn sie entmutigt sind, ich lächele sie an, wenn sie mich anschauen, ich bete mit ihnen, wenn sie beten, ich singe mit ihnen wenn sie singen, ich tanze mit ihnen, wenn sie tanzen …

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